Erinnerungen …
Der verdorbene Genuss
Unweigerlich kehren Gedanken an eine Begegnung zurück, ausgelöst durch den Bericht „Der etwas andere Weg an den Genfer See“ von Herbert Gruber im „Naturfreund“ 3/2019.
Sein Weg führte am Stationsgebäude von Les Cases vorbei. Dieses war damals bewohnt von der Familie einer Tante. Sie betreute die noch bediente Haltestelle und führte das heimelige Restaurant, das darin untergebracht war; der Onkel leistete derweil seine Schichten als Streckenwärter der Bahn.
Hier durfte ich mit Rosmarie während unseres Welschlandaufenthalts einmal zu Gast sein. Am Abend hatten wir muntere Gesellschaft von zwei Älplern bei ein paar Gläsern Rotwein. Zwar war von ihrer lebhaften Unterhaltung in dem rauen Dialekt kaum etwas zu verstehen, jedoch luden sie uns ein, morgen bei unserem Aufstieg Richtung Col de Jaman bei ihnen hereinzuschauen.
Dort angekommen, war der eine Senn am Käsen. Ein riesiger Kessel voller Milch war zur Herstellung des „Greyerzers“ bereit. Der Onkel, der uns bis hierher begleitete, griff nach einem der verzierten Holzlöffel im Gestell, tauchte ihn leicht in den obenauf schwimmenden Rahm, streifte ein wenig davon ab und genoss ihn daraus mit einem Möckchen Brot. Freudig folgten wir der Einladung wiederholt.
Da trat der zweite Senn herein, tat dasselbe ein-, zweimal, leckte den Löffel ausgiebig aus – und hängte ihn als selbstverständlich wieder zurück. Da verging aber meiner Liebsten die Lust, und die Älplerromantik litt fortan dauernd ein wenig darunter …
Unsere Tour brachte uns übrigens Richtung Rochers de Naye, wo wir bei der Haltestelle unterhalb der Bergstation die Bahn zur Talfahrt bestiegen. So blieb trotz des kleinen Kulturschocks eine schöne Erinnerung ans Pays-d’Enhaut, geweckt eben durch die erwähnte Lektüre!
15.1.2021 / Werner Nüssli